Kunst, Trivia

Madame Georges Lemmen: Oder, wie man Tee in Kunst entdeckt

Wer ist Madame George Lemmen? Und was hat sie mit Tee zu tun? Heute möchte ich eine neue Rubrik auf diesem Blog einweihen. Ich bin tausende Einträge davon entfernt keine Themen mehr zu Tee oder Porzellan zu haben. Ganz im Gegenteil. Vielmehr überschlage ich mich gerade, weil noch so viel zu schreiben ist und ich an allem zeitgleich arbeiten möchte. Daher dachte ich, schadet es vielleicht nicht einen Schritt zur Seite zu treten und ein wenig Druck rauszunehmen.

Die Entdeckung des Tee-Musters

In diesem Beitrag geht es nämlich um Tee und Kunst. Neuerdings habe ich an mir festgestellt, dass Tee mich nicht nur in Getränkeform begleitet. Seitdem ich in diese faszinierende Welt abgetaucht bin, entdecke ich nahezu überall Hinweise auf dessen Allgegenwärtigkeit. Kein Wunder – nach Wasser, ist Tee schließlich weltweit das meist konsumierte Getränk. Meine Augen entdecken überall Anzeichen von dessen Bedeutung in unserer Kultur.

Das ist wie die alte Analogie des Autokaufs. Bevor man sich für ein bestimmtes Modell entscheidet, achtet man kaum auf die Wagen. Will man nun aber genau diesen Wagen, oder hat ihn womöglich bereits gekauft, sieht man das Fahrzeug plötzlich überall und wundert sich, wo die alle herkommen. Kein Grund zur Sorge; das ist ganz normal und natürlich.

Wir Menschen sind darauf gepolt Muster zu erkennen, um uns in unserer Umgebung zurechtzufinden und um mögliche Gefahren (außerhalb des Musters) schnell zu identifizieren. Deswegen tun sich einige Menschen so schwer damit den Zufall in ihrem Leben zu akzeptieren. Sie suchen nach Bedeutung in Dingen. Und ich sehe nun überall Tee und Porzellan. [Zufall?] Nein, das ist also mein neuestes persönliches Muster.

Wenn ich heute einen Film schaue, wo Tee getrunken wird, suche ich direkt nach mehr. Auf Flohmärkten sehe ich schon am übernächsten Stand eine Teekanne, die von mir analysiert werden will. [Fast schon zwanghaft]. Aktuell höre ich auch Hörspiele, in denen (gefühlt) ständig Tee getrunken wird. [Gut, es sind britische Hörspiele – but you get the point]. Also wuchs in mir der Wunsch das zu einem Thema auf dem Blog zu machen.

Teil I: Der Künstler Georges Lemmen

Der junge Georges

Den Anfang in diesem neuen Bereich macht das Gemälde aus dem Thumbnail. Es heißt »Madame Georges Lemmen«, ist gelegentlich aber auch unter dem simplen Titel »Tee« zu finden. Gemalt wurde es von dem belgischen Post-Impressionisten Georges Lemmen (hier rechts im Bild zu sehen).

Dieser ist weitaus weniger bekannt, als seine Zeitgenossen und man findet kaum Informationen zu ihm oder seinem Leben. Was ich an sich schon spannend finde. Denn unbedeutend oder untalentiert war er jedenfalls nicht (meiner Meinung nach) – eher unglücklich.

Geboren wurde Georges Joseph Laurent Lemmen 1865 in Schaerbeek (im Speckgürtel von Brüssel). Sein Vater – ein Architekt – unterstützte schon früh Georges Interesse an der Malerei.

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Portrait von Georges Lemmen │Quelle: via WikiCommons under CC BY-SA 3.0

Mit gerade einmal etwa zehn Jahren lernte er bereits an der renommierten Zeichenschule in Sint-Joost-ten-Node. Es hielt ihn dort jedoch nicht lange. Er brach vorzeitig ab. Vielleicht kam die akademische Ausbildung zu früh; vielleicht beschlichen ihn hier zum ersten Mal Zweifel an seinem Talent, die ihn sein Leben lang nicht mehr loslassen sollten. Genau weiß man es nicht, aus Mangel an entsprechenden Aufzeichnungen.

Turbulente Jahre in Lemmens Leben

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Die Strickerin│ Quelle: irinaraquel via flickr under CC PDM 1.0

In der Zeit im Anschluss war es – zumindest in der Öffentlichkeit – ruhig um Lemmen. Die Kunst schien ihn aber allen Zweifeln zum Trotz ebenfalls nicht loszulassen. Mit etwa zwanzig Jahren wendete er sich erneut der Malerei zu. Dieses Mal nachhaltiger und erfolgreicher. Inspiration waren ihm in dieser Periode vor allem Edgar Degas und Henri de Toulouse-Lautrec.

Recht zügig gelang es Lemmen von diversen Brüsseler und Ghenter Galerien ausgestellt zu werden. Darüber, ob er mit dem Verkauf zufrieden war, lässt sich nur spekulieren. Anzumerken ist jedoch, dass es in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts an Konkurrenz nicht eben mangelte.

1888 wurde Georges Teil der avant-garde Künstlergruppe »Les XX« (auch Les Vingt oder die Zwanziger). Den Namen verliehen sie sich selbst.

Die Gruppe versammelte in Brüssel zahlreiche namhafte, junge Maler und Bildhauer. Sie war zwischen 1883 und 1893 aktiv. In diesem Umfeld traf er auf Théo van Rysselberghe und Georges Seurat, mit dem ihn eine enge Freundschaft verband. 

Die Maler inspirierten die gegenseitige Arbeit in erheblichem Maße. Nach einer bedeutenden Ausstellung Georges Seurats im »Salon des XX«, wendete sich auch Lemmen dem Pointillismus zu. Er adaptierte den Stil und entwickelte ihn mit einer eigenen, originellen Handschrift weiter. In dieser Schaffensperiode entstanden zahlreiche Landschaften und Portraits.

Dabei wurden – beinahe wissenschaftlich – Punkte zu einem Gesamtkunstwerk gestaltet. Heute verwendet man häufiger den Begriff Divisionismus als Unterkategorie des Post-Impressionismus. Lemmens Werk aus dieser Zeit ist außergewöhnlich gut und lässt sich durchaus mit der bedeutenden Pariser Schule messen. [Mir persönlich gefällt dieser Stil ausgesprochen gut]. Eines von Lemmens Portraits ist uns übrigens bereits in dem Artikel zu »Villeroy & Boch« begegnet. Georges malte unter anderem auch die Kunst begeisterte Boch-Tochter Anna.

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Die Schwester des Künstlers │ Auf diesem Ausschnitt aus dem Kunstwerk kann man die Technik des Pointillismus besonders gut erkennen │ Quelle: mark6mauno via flickr under CC BY-NC 2.0

Was Lemmens Pointillismus folgte

Nach Ausstellungen der »Les XX«, stellte Lemmen auch im »Salon des Indépendants« in Paris aus. Das bedeutendste Werk aus dieser Schaffensperiode ist vermutlich »Plag á Heist«, dem bereits ein neuer Einfluss anzumerken ist: »Art Nouveau«. Variationen dieses Landschaftsmotivs lassen sich übrigens im Kölner »Wallraff-Richarz-Museum« bewundern.

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»Plag á Heist« (Der Strand von Heist), 1891, Öl auf Holz – Sein wohl bekanntestes Bild hängt heute im Musée d’Orsay │Quelle: Public domain via Wikimedia Commons

Bildern im eher klassischen impressionistischen Stil folgten nun Werke mit Elementen des Jugendstils. Nach einem Besuch in England versuchte er sich in Illustrationen im Stil von Walter Crane. Einige Jahre lang wandte er dem Impressionismus ganz den Rücken zu. 1895 arbeitete er unter anderem gemeinsam mit seinem belgischen Zeitgenossen Henry van de Velde an der Gestaltung des Raucher-Salons der »Siegfried Bing’s Paris Boutique«. [Henry war übrigens auch für »Villeroy & Boch« tätig. Die Welt im Benelux Bereich war offensichtlich recht klein zu dieser Zeit.]

Kommerz und Rückzug

Neben der Malerei wandte sich Lemmen nun auch der sogenannten kommerziellen Kunst zu. Er entwarf zum Beispiel Werbeanzeigen, Buchillustrationen, Keramiken, Teppiche, Poster et cetera [siehe Abbildung rechts]. Ab 1900 beschäftigte er sich jedoch wieder ausschließlich mit Malerei.

Sein Werk ist geprägt von Szenen des täglichen Lebens, die Motive sind oft vertraut und intim. Häufig anzutreffen sind Portraits seiner Familie und Freunde, auf die er sich besonders seit der Jahrtausendwende konzentrierte.

Stilistisch lässt seine Kunst auch Parallelen zur Ästhetik der Nabis zu. Auch bei Lemmens finden sich vereinfachte Zeichnungen, Reduktion von Tiefe, entsprechende Szenenausschnitte und Stilisierungen. Farblich wählte er warme, gedeckte Farben, gelegentlich mit auffälligen Kontrasten.

La Libre Estètique Georges Lemmen Kunst Art Jugendstil Poster
Poster für die Ausstellung »La Libre Esthètique«, 1910 │ Quelle: Wikimedia Commons under Free Art License
Georges Lemmen Impressionismus St Idesbald 1910 Kunst Art
»St. Idesbald«, 1910 – Tinte und Wasserfarben auf Papier│ Quelle: public domain via Wikimedia Commons under Free Art License

1910 reiste er nach Südfrankreich, wo er gleich mehrere Bilder zum Thema Badegäste schuf. Maritime Landschaften waren ein weiterer Motivschwerpunkt seines Werks.

Insgesamt verkaufte sich Lemmens Kunst leider nur langsam und Selbstzweifel blieben sein lebenslanger Begleiter. 1913 durfte er mit seiner einzigen Solo-Ausstellung in der »Galerie Giroux« in Brüssel einen späten Erfolg feiern.

Im Juli 1915 zog er nach Uccle, südlich von Brüssel. Lediglich ein Jahr später starb er im Alter von nur 51 Jahren. Heute erzielen Lemmens Werke bei Auktionen Preise zwischen 61 USD und 315.504 USD, abhängig von Größe und Material.

Teil II: Das Bild »Madame Georges Lemmen«

Kommen wir nun zu dem Bild vom Tee. Mich hat dieses Bild vor allem angesprochen, weil es durch die Farben und die alltägliche Szenerie Gemütlichkeit ausstrahlt. Zumindest im ersten Augenblick verbinde ich mit dem Motiv ein warmes Gefühl von Zuhause. Für eine akademische Bildanalyse fühle ich mich zwar leider nicht gut genug ausgebildet, aber ich versuche mein Bestes. Daher bitte ich an dieser Stelle schon einmal um Nachsicht in dieser Beziehung.

Madame Georges Lemmen Impressionismus Bildausschnit Teekanne Teetasse Tee
Quelle: irinaraquel via flickr under CC PDM 1.0

Fakten und Bildaufteilung

Zunächst einmal die Fakten. Es handelt sich hier um eine Malerei Lemmens aus dem Jahr 1902. Darauf weist oben links seine datierte Signatur hin. Das Bild wurde mit Öl auf einer Tafel im Querformat geschaffen. Anhand des Titels wissen wir, dass es sich bei dem Modell um die Ehefrau des Künstlers handelt, Aline Maréchal.

Wäre es eine Fotographie, würde ich sagen es ist ein Schnappschuss, ein Moment aus dem Alltag der Familie, der dem Künstler wichtig genug war, um ihn festzuhalten. Aline arbeitet handwerklich an einem Kleidungsstück und trinkt dabei Tee. Eine friedliche Situation, die Ruhe ausstrahlt.

Der Bildausschnitt wird durch die Tischkante diagonal aufgeteilt und geordnet. Im unteren Bildbereich werden die Gegenstände des Nachmittags- oder Abendtees dargestellt. Die obere Hälfte zeigt Frau Lemmen bei ihrer Handarbeit, sowie einen Teil des Raumes. Während der Vordergrund vollständig ausgeleuchtet ist, bleibt hinter dem Sofa ein Bereich im Schatten verborgen. Es ist nicht wirklich auszumachen, ob es sich lediglich um eine dunkle Ecke des Raums handelt, oder ob dort noch ein Gegenstand zu finden ist. Für mich ist das die einzige Stelle, die irgendwie eine Art Unheil ausstrahlt. Mein Blick verbleibt dort nicht lange.

In Bewegung sind lediglich die Hände der Dame, und diese bilden beinahe das Zentrum des Gemäldes. Der Gesichtsausdruck von Aline wirkt konzentriert, aber entspannt. Im Rücken lässt sich ein Kissen erkennen, das ihren Rücken stützt. Sie scheint an einem größeren hellen Kleidungsstück zu arbeiten. Vielleicht das Hemd ihres Mannes oder ein Nachthemd? Sie selbst trägt ein einfaches Kleid – möglicherweise ein Hauskleid.

Lemmens gedeckter Tisch

Auf dem Tisch sind mehrere Gegenstände zu sehen: eine Teekanne, platziert auf einem Holzbrett, um die Tischdecke zu schonen, eine Teetasse mit Untertasse, ein Gebäckteller sowie eine Kiste mit Nähzeug. Sie sind kreisförmig angeordnet, in etwa gleichen Abständen zueinander entfernt und scheinen keine Hierarchie aufzuzeigen.

Demnach sind sie alle gleich wichtig und nehmen einen vergleichbaren Raum beziehungsweise Aufmerksamkeit auf dem Gemälde ein. In der Gesamtkomposition des Bildes sind sie genauso präsent wie Aline selbst. Die Gleichwertigkeit der Motive zeigt auch, dass das Gemälde mal unter dem Titel »Madame Georges Lemmen« und mal unter »Tee« zu finden ist.

Madame Georges Lemmen Impressionismus Bildausschnit Teekanne Teetasse Tee

Die Teekanne ist – aufgrund ihrer Farbe und Form – vermutlich aus Keramik oder Steingut hergestellt und mit einem Holzgriff versehen.

Es ist eine Teekanne, wie sie typisch für diese Zeit war. So fand man solch eine Kanne in vielen einfachen Haushalten. Aufgrund fehlender Dekoration, der simplen Glasur und Form ist es ein Alltagsgegenstand, im Gegensatz zu einer feinen Tafel.

Frau Lemmens Teetasse hingegen scheint aus Porzellan (oder einem feinen Steingut) hergestellt zu sein. Sie trägt ein blaues Muster.

Aller Wahrscheinlichkeit nach ist dies entweder ein asiatisches Motiv, ein florales Muster oder ein Zwiebelmuster, wie sie alle drei Ende des 19. Jahrhunderts modern waren.

Sie beinhaltet keinen Tee mehr und enthält uns vor, welchen Tee Frau Lemmen vielleicht getrunken hat. Die Tasse steht im Kontrast zu der einfachen Kanne. Vielleicht genoss es Aline aus einer feineren Tasse zu trinken. [Ich könnte es nachvollziehen].

Madame Georges Lemmen Impressionismus Bildausschnit Teekanne Teetasse Tee

In Anbetracht der Tatsache, dass der Künstler sich im Umfeld von Anna Boch bewegte, würde es mich im Übrigen nicht wundern, wenn die Tasse sogar von »Villeroy & Boch« wäre. [Aber das ist reine Spekulation meinerseits. So versiert bin ich nicht, dass ich in einem impressionistischen Gemälde die Marke des Porzellans bestimmen könnte.

Madame Georges Lemmen Impressionismus Bildausschnit Teekanne Teetasse Tee

Auffällig ist noch, dass nur ein Gedeck zu sehen ist, was darauf hinweist, dass Frau Lemmen allein ihrer Tätigkeit nachgeht und nicht in Gesellschaft Tee trinkt. Der Künstler selbst blickt im Stehen auf die Szene herab und scheint nicht Teil dieses Moments zu sein. Er stört auch nicht, da seine Ehefrau ihm keinerlei Aufmerksamkeit schenkt.

Der Gebäckteller ist etwas aufwändiger gestaltet und ebenfalls bereits leer, enthält beziehungsweise noch einzelne Kekse oder etwas in der Art. In der Kiste befinden sich vermutlich Garn und Nadeln.

Madame Lemmens Stil und Farben

Es handelt sich um ein recht typisches, impressionistisches Bild. Mit Ausnahme der Farben, die allesamt gedeckt sind. Die Szene ist ungenau dargestellt, die Formen nicht detailliert ausgearbeitet, sondern bleiben angedeutet. So sind beispielsweise die Tapete, die Muster auf Kleid und Decke – ebenso wie Frau Lemmens Gesichtsausdruck – lediglich vage gemalt. Die Pinselstriche und die Struktur sind gewollt wahrnehmbar. Gerade im Bereich der Sofalehne und der Tapete lässt sich noch Lemmens Einfluss des Pointillismus erkennen.

Madame Georges Lemmen Impressionismus Bildausschnit Teekanne Teetasse Tee
Madame Georges Lemmen Impressionismus Bildausschnit Teekanne Teetasse Tee
Madame Georges Lemmen Impressionismus Bildausschnit Teekanne Teetasse Tee

Lemmen entschied sich ausschließlich für warme Farben. Es sind viele Brauntöne zu sehen, die mal abgedunkelt und mal aufgehellt wurden. Akzente wurden mit einem kräftigen Rot und einem Grünton gesetzt. Tischdecke und Kleid sind beide altrosa. [Das unterstützt wieder die Gleichstellung der Motive]. Überhaupt findet sich eine Doppelung der Farben. So ist der Sofarücken beispielsweise in der gleichen Farbe gemalt, wie die Kiste mit dem Nähzeug. Die Punkte der Tapete haben das gleiche Grau, wie es in der Teekanne wiederzufinden ist. Es scheint, als hätte der Künstler mit nur ausgewählten Farben der Palette gemalt.

Seine Farbwahl wirkt dabei bewusst leicht abweichend von der Realität. Der Ton ist viel wärmer. Mit Ausnahme des Rots, wirkt das Bild wie durch einen Sepia-Filter betrachtet. Es lässt daran denken, dass es vielleicht Abend sein könnte (da die Vorhänge zugezogen sind). Die Deckenlampe ist vermutlich die Lichtquelle. Durch die gedämpften Farben erscheint die Szene warm, gemütlich, ruhig und natürlich, aber auch zurückgezogen von der Welt.

Der Raum

Lemmens Pinselstriche sind grob, kaum verblendet. Zum Teil sind diese schwungvoll umgesetzt, so wie bei der Sofalehne. An anderen Stellen sind sie tupfend aufgetragen und sorgen für Lebendigkeit.

Im Kontrast zum Raum selbst. Dieser wirkt nämlich recht eng, denn die Möbel stehen direkt an der Wand. Insgesamt strahlt das Bild Intimität und Vertrauen aus. Es ist zwar durch den Anschnitt nicht der gesamte Raum zu überblicken, aber man vermutet, dass da nicht viel mehr zu sehen wäre. Die kreisförmige Anordnung der Gegenstände auf dem Tisch greift die bildsprachliche Harmonie auf.

Eine geschwungene Sofalehne rahmt das Wesentliche ein und grenzt den Rest ab. Zwischen der Frau, der Tasse und der Kanne wiederum lässt sich ein Dreieck formen. Das steht seinerseits für Ruhe und steuert gleichzeitig den Blick des Betrachters.

Madame Georges Lemmen Impressionismus Bildausschnit Teekanne Teetasse Tee


Ausblick

Seine letzten Jahre hatte sich Lemmen immer mehr zurückgezogen und beschränkte sich weitestgehend auf Bilder seiner Familie, wie hier Aline Maréchal. Ob er jemals offiziell mit Depression diagnostiziert wurde, ist leider nicht bekannt, aber gemessen an den wohl bekannten Zweifeln an seinem Werk, lässt sich das mindestens vermuten. Auch die Wahl der Motive, beziehungsweise sein besonderes künstlerisches Auge, könnte auf eine introvertierte Art deuten.

Hinzu kam eine ständige Sorge ums Geld, da es für ihn mühsam war von der Kunst zu leben. Ich möchte nicht sagen, dass sich das in den Bildern spiegelt, ganz im Gegenteil. Aber ich habe den Eindruck, als durchweht seine Leit-Motive eben ein Hauch von Alleinsein, Sehnsucht, Melancholie und Rückzug.

Mich persönlich spricht das ungemein an. Und für mich ist das Motiv des Teetrinkens ebenfalls damit verbunden und daher ungeheuer passend. Man sieht, dass die Lemmens nicht pompös leben konnten. Die Einrichtung ist einfach und gleichzeitig geschmackvoll. Der Kontrast der robusten Teekanne zu der feinen Teetasse gefällt mir besonders. Ich genieße es auch im Alltag aus schönem Porzellan zu trinken. Das gibt dem Moment etwas Besonderes, ohne überkandidelt zu sein.

Gerade, wenn man viel Zeit zu Hause verbringen muss (wie aktuell während der Pandemie). Dann hilft es doch die Gemütlichkeit zu spüren und ein wenig den Moment zu feiern. Daher empfinde ich das Motiv als keineswegs altmodisch, sondern nachvollziehbar. Auch in Bezug auf die Farbwahl. Ich finde das Sepia schreit geradezu nach Tee.

Wer sich übrigens einen Überblick über die Varietät Lemmens verschaffen möchte, dem empfehle ich das YouToube-Video »Georges Lemmen: A collection of 113 works« vom Channel »LearnFromMasters«. In den rund elf Minuten zeigt sich, wie vielfältig Lemmens Kunst gewesen ist, und dass sein unscheinbares Dasein zwischen den bekannteren französischen Zeitgenossen nicht ganz gerechtfertigt ist.

Ich hoffe, dieser kleine Ausflug in den Impressionismus hat euch gefallen. Darauf erst einmal eine Tasse Tee!

Bis zum nächsten Mal!

Quellen:

Bildnachweise (falls nicht in Bildunterschrift vermerkt):
Beitragsbild und sämtliche Detailbilder: Irina Raquel via flickr under CC PDM 1.0

Web:
Homepage WikiArt, Artikel Georges LemmenStand 15.07.2021
Homepage Neoimpressionism, Artikel Georges Lemmen, Stand 15.07.2021
Homepage RKD Netherlands Institute for Art History, Verzeichnis Georges Lemmen, Stand 15.07.2021

Homepage Musée d’Orsay, Unterseite Beach at Heist, Stand 15.07.2021
Homepage Galerease, Unterseite Georges Lemmen, Stand 15.07.2021
Homepage Webgallery of Art, Artikel Georges Lemmen, Stand 15.07.2021
Homepage Mutual Art, Artikel Georges Lemmen, Stand 15.07.2021
Homepage Francis Maere Fine Arts Gallery, Unterseite Georges Lemmen, Stand 15.07.2021
Blog Art Now And Then, Blogpost Georges Lemmen, Stand 15.07.2021
Wikipedia, Artikel Georges Lemmen, Stand 15.07.2021