Allgemein, Portraits, Porzellanmanufakturen

Villeroy & Boch – Teil 1

Die Geschichte von Villeroy & Boch bis zur Fusion 1836

Villeroy & Bochs Geschichte reicht zurück bis ins Jahr 1748. Sie begann mit einer kleinen Keramikmanufaktur. Die Zusammenlegung zweier Konkurrenzbetriebe führte unter einer cleveren Marktstrategie sukzessive zu internationalem Erfolg. Heute ist die Firma eine ungewöhnlich breit aufgestellte Aktiengesellschaft. Was darüber hinaus kaum einer Porzellanmanufaktur gelungen war, meistert das Unternehmen auch heute noch Jahr für Jahr: international erfolgreich zu sein und dabei nach wie vor überwiegend in Familienhand zu bleiben.

Meine Beziehung zu »V&B« reicht zurück in meine Jugendzeit. Ein wenig habe ich sie im Artikel zu deren Kanne »Cellini« aufgegriffen. Wenn ich den Blick über die Teekannen in meinen Regalen schweifen lasse, muss ich sagen, dass von anderen Herstellern hin und wieder ein Fehlkauf dabei gewesen war. Entweder war die Kanne im täglichen Gebrauch zu schwer, leckte oder bekam recht schnell einen Chip. Während alle meine »Villeroy & Boch«-Teekannen [siebzehn waren es bei meiner letzten Zählung] all das nicht waren. Immer, wenn ich eine von ihnen nutze, macht sie mich glücklich. Das ist mir erst kürzlich bewusst geworden.

Ich frage mich woran das wohl liegen mag. Am Design? Meiner Meinung nach, gibt es in diesem Bereich bessere und mutigere Hersteller. Ist es vielleicht das spezielle Porzellan? Immerhin hat »Villeroy & Boch« eigene bahnbrechende Rezepturen entwickelt. Hier kommen wir der Sache schon näher. Tatsächlich liebe ich besonders die Haptik des Porzellans. Und es hat definitiv eine eigene Handschrift. Ich erkenne recht zügig, ob ich ein Stück von »Villeroy & Boch« in der Hand halte, auch ohne die Bodenmarke zu überprüfen. Was auch immer es ist … es funktioniert!

Und nun tauchen wir ein wenig in die langjährige, die Branche prägende und faszinierende Industriegeschichte des Unternehmens ein.

Am Anfang stand ein »Boch«

Auch wenn der Name erst an zweiter Stelle genannt wird, den Anfang machte: François Boch. Bis zur Gründung seiner eigenen kleinen Töpferei, arbeitete Boch als Eisengießer und Waffenschmied. Er trug den ehrenwerten Titel »Bombardier du Roi« (königlicher Kanonengießer) und trat in die Fußstapfen seines Vaters, der ebenfalls im Eisenhandwerk tätig gewesen war.

Sein Beruf war auch der Grund, warum es die Familie Boch nach Audun-le-Tiche (Deutsch-Oth) verschlagen hatte. Noch bis 1997 prägte nämlich das Eisenbergwerk das Ortsbild. Es war das letzte Bergwerk seiner Art, das in Frankreich bis dahin aktiv gewesen war. Zuvor aber dampften viele Jahrhunderte lang die Hochöfen im Ort und gaben den Bewohnern bis in die 1960er Jahre hinein Arbeit.

Foto: Public Domain via Wiki Commons / digital koloriert

Die kleine Gemeinde liegt in Frankreich, genauer gesagt in der Region Grand Est des Départements Moselle. Bis 2015 war das noch unter Lothringen bekannt. Er grenzt unmittelbar an Luxemburg und ist auch von Belgien nur einen Katzensprung entfernt.

Zurück zum Herrn der Stunde: Formguss war also Bochs Handwerk. 1948 beschloss er umzusatteln und statt Kanonenkugeln, Keramik zu gießen. Ein Anreiz mag dabei gewesen sein, seinen Kindern einen »einfacheren« beruflichen Weg zu ebnen. Denn die Arbeit als Kanonengießer war nicht nur körperlich anstrengend, sondern auch eben nicht ungefährlich. Er selbst verlor bei einem der zahlreichen Test-Schüsse einen Teil seines Gehörs.

Zwei Jahre nach dem Tod seiner Ehefrau gründete Boch im Alter von 48 Jahren, gemeinsam mit seinen drei Söhnen, eine Keramikmanufaktur. Die Söhne, das waren die Zwillinge Dominique und Jean-François (dreizehn Jahre alt) sowie Pierre-Joseph (gerade einmal elf Jahre alt).

Anfängliche Schwierigkeiten

Das Unternehmen der Boch-Männer startete allerdings etwas holprig. Zu Beginn fehlte ihnen noch das Know-How in der Keramikherstellung, das sie sich erst mühsam erarbeiten mussten. François Boch kannte sich immerhin mit Schmelzöfen aus, nicht jedoch mit den nun verwendeten Brennöfen. Das Wasser des Bachs im Ort konnte den Bedarf der Produktion zusehends nicht decken. Und die Erde – das Herzstück einer Keramik – hatte leider nicht die passende Qualität.

Was genau stimmte denn mit dem Ton nicht? Die Erde war zu eisenhaltig für eine helle Scherbe. Der hohe Eisenanteil ließ nur die Herstellung von braunem Geschirr zu. Halb so schlimm, mag man sich jetzt denken, aber braun war im 18. Jahrhundert nicht in Mode. Es war das Jahrhundert des Porzellans. Das Geheimnis um dessen Herstellung war noch recht jung. Erst seit 1709 war man auch in Deutschland in der Lage Porzellan zu brennen. Daher hüteten die Manufakturen ihre Produktionsprozesse wie ihren Augapfel. Dazu war es als »Weißes Gold« beinahe ausschließlich dem Adel vorbehalten.

Foto: Oshin Khandelwal, gefunden auf unsplash
Foto: Ricky Artigas via flickr under CC BY 2.0

Daher war auf dem Markt alles gefragt, was zumindest nach Porzellan aussah, und das war nun einmal eine weiße Scherbe.

Aber aufgeben wollten die Bochs nicht. Sie testeten sich durch, versuchten sich in der Komposition der Grundstoffe, verschiedenen Formen, Glasuren und Brennverläufen. So lange, bis das Ergebnis wettbewerbsfähig war. Auch für die Ressourcen wurden Lösungen gesucht. Bessere Erde gab es aus dem Nachbarland Luxemburg und mehr Wasser aus einem eigenen Brunnen.

Wo die Liebe hinfällt

Wie das so im Leben ist, verhalf auch ein wenig Glück den Bochs zu wesentlichen Erfolgen. Das Glück kam in Form einer Hochzeit. Neben seinen Söhnen hatte François auch eine Tochter, die sich zufällig in Pierre Valette verliebte und diesen schließlich auch heiratete. Valette trug das passende Wissen mit sich herum – die Kunst Kalksteingut herzustellen. Weshalb war Kalk nun wichtig? Es war weiß! Im Gegensatz zur Tonkeramik enthält Steingut kein Eisen. Damit ist die Farbe des Geschirrs nach dem Brennvorgang weiß – und dem Porzellan optisch recht ähnlich.

Da Pierre seinen Schwiegervater an diesem Wissen teilhaben ließ, war es den Bochs nun möglich ebenfalls Kalksteingut zu produzieren, was ihnen einen Wettbewerbsvorteil sicherte.

Ihre Erfolge gaben sie auch dem Dorf weiter. Bis zu sechs Familien stellten in der Keramikfabrik nun Fayencen her und konnten so ihren Lebensunterhalt bestreiten. Zudem gab es auch noch finanzielle Hilfen durch die Familie Boch, die beispielsweise in Schulunterricht investiert wurden.

Nach dem frühen Tod des Vaters 1754, übernahmen die gerade einmal siebzehn und neunzehn Jahre alten Söhne gemeinsam das Ruder. Ihr Ziel war es die Produktions-Technik zu verbessern und ihren Absatzmarkt zu vergrößern.

Dabei ging es ihnen aber nicht primär um die Konkurrenz zu den großen Porzellanmanufakturen des Landes. Ihre Zielgruppe waren die Bauern der Umgebung und im zweiten Schritt die Bürger der umliegenden Städte, nicht der Adel. Die Keramiken der Bochs waren zunächst Alltagsobjekte, die günstig produziert und vertrieben werden konnten. Aus diesem Grund ist aus dieser Zeit auch kaum ein Topf, eine Schüssel oder Kanne erhalten geblieben. Das Geschirr wurde intensiv genutzt, war stoßanfällig und wurde nach ausgiebigem Gebrauch entsorgt.

Die Qualität des Steinguts nahm jedoch von Jahr zu Jahr zu und wurde damit zu einer echten Alternative zum teuren »Weißen Gold«. Die Absatzpolitik der Unternehmerfamilie wurde mit einer entsprechend hohen Nachfrage belohnt.

Villeroy und Boch in Luxemburg

Die drei jungen Bochs hatten bereits ausreichend Erfahrung, um zu erkennen, dass eine hohe Nachfrage zur Expansion genutzt werden sollte. Insbesondere der jüngste der Drei, Pierre-Joseph, forcierte diese Vision. Das Werk in Audun-le-Tiche wurde schließlich zu klein.

Portrait von Pierre-Joseph Boch aus dem Archiv von Villeroy & Boch / Bild: Oktobersonne via Wiki Commons under CC BY-SA 4.0

Aufgrund der Nähe zu Luxemburg war dort bereits ein Absatzmarkt vorhanden und damit eine passende Gelegenheit zur Vergrößerung. Pierre-Joseph Boch bat die österreichische Regierung 1765 darum, in Luxemburg eine Manufaktur gründen zu dürfen. Dieser Bitte kam die Kaiserin nach, und nur ein Jahr später wurde in Septfontaines (deutsch: Siebenbrunnen) ein neues Werk aufgebaut. Der Ort lag nur knapp 50 Kilometer vom Ursprungswerk in Audun-le-Tiche entfernt.

Das Timing stimmte. 1766 wurde Lothringen nämlich Frankreich zugeordnet und damit dem französischen Zollrecht unterstellt. Plötzlich kam die Konkurrenz damit auch aus Frankreich. Nicht aber aus Luxemburg. Dort gab es – warum auch immer – zu dieser Zeit keine eigenen Steingutfabriken, jedoch ausreichend Bedarf! Und da die Bochs ihre Fühler schon zuvor dorthin ausgestreckt hatten und sich einen guten Ruf erarbeiten konnten, kam das »Ja« der Regierung im November 1766 nicht überraschend.

Allerdings gab es seitens der Kaiserin eine Bedingung – das Werk sollte innerhalb von einem Jahr produktionsfähig sein. Industrie bedeutete Arbeitsplätze. Außerdem versorgten sich die Luxemburger bis dato mit Steingut aus Holland, Frankreich und England. Gerade England war beliebt und in Sachen Produktion den anderen um einiges voraus. Der luxemburgischen Regierung war es aber natürlich daran gelegen das Geld im eigenen Land zu halten. Ein Jahr hatte den Bochs gereicht, um in Septfontaines Fuß zu fassen und das alte Werk in Lothringen aufzugeben.

Septfontaines – Siebenbrunnen

Unter dem Namen »Jean-François Boch et Frères« setzen die Bochs in Septfontaines wichtige Grundsteine in Richtung serielle Produktion. »Manufacture Impériale et Royale« durfte die neue Fayencerie sogar im Titel tragen – ein Ausdruck der enormen Wertschätzung der Luxemburger für die Bochs.

Die Brüder hatten inzwischen ihre Aufgabenverteilung gefunden. Der Älteste Jean-François war der Kaufmann der Familie, der die vertraglichen Dinge in der Hand hielt. Er war der Geschäftsführer des Unternehmens. Deshalb war dieses auch nach ihm benannt.

Dominique hatte seine Expertise in einem anderen Feld – der Technik. Er überwachte und entwickelte die gesamte Produktionstechnik. Auch darüber hinaus war er technisch aktiv. Als er später durch eine Lähmung arbeitsunfähig wurde, entwickelte er zum Beispiel für sich einen Krankenstuhl, der Treppen bewältigen konnte.

Pierre-Joseph Boch schließlich betätigte sich kreativ im Unternehmen. Beispielsweise kann man im hauseigenen Mettlacher Keramikmuseum einen Kruzifixfuß mit Schlangensymbol nach seinem Entwurf bewundern. Eine feine künstlerische Arbeit, die aus Rocaillien zusammengesetzt wurde.  Zudem hielt er die Gesamtleitung der Produktion – war also auch für Formen- und Dekorentwürfe zuständig – dazu aber später mehr.

Eine Besonderheit sei zum Aufbau der Fabrik noch erwähnt: das Personal. In Luxemburg gab es kein Fachpersonal in Bezug auf Steingut. Wie denn auch, wenn es im ganz Land zuvor keine Fabrik dieser Art gegeben hatte?

Piere-Josephs Kruzifixfuß in einer Ausstellung / Foto: Public Domain under CC PDM 1.0

Nun zahlte sich aber das gute Verhältnis der Familie zu seinen Mitarbeitern in Audun-le-Tiche aus. Die waren von den Bochs so überzeugt, dass sie bereit waren umzusiedeln, samt Kind und Kegel. Das gelernte Stammpersonal wurde um Ortsansässige ergänzt, die entsprechend qualifiziert ausgebildet werden konnten. Bis zu 300 Angestellte waren in Septfontaines tätig, und darüber hinaus war die gesamte Region durch den Handel mit den Erzeugnissen der Fabrik ebenfalls mit eingebunden. 

Imitate und Assimilation

Der Drang nach Fortschritt, Innovation und der Wunsch danach »besser« zu sein, als die Konkurrenz spornte die Brüder an. Sie entwickelten stets neue Organisationsabläufe und forcierten den mechanischen Anteil der Arbeit. Wo es ging, sollte die teure und langwierige Handarbeit abgelöst werden. Dazu wurden beispielsweise auch schon Arbeitsplätze entwickelt, die sich auf eine Tätigkeit spezialisieren konnten. Die Bochs waren ihrer Zeit voraus, denn die übergreifende Industrialisierung sollte erst noch kommen.

Und da Erfolg lockt, fanden sich bald Nachahmer. Viele kleinere Steingutmanufakturen siedelten sich im Umkreis an. Genauso viele gaben den Standort wieder auf. Die Bochschen Entwürfe wurden kopiert – in schlechterer Qualität. »Jean-François Boch et Frères« überholte die Konkurrenz nach wie vor.

Ein Musterteller für Dekore / Foto: Reinhard Dietrich via WikiCommons under CC BY-SA 4.0

Ein Erfolgsmerkmal war ihre Fähigkeit günstig zu produzieren. Aber wie war das bei der gehobenen Qualität überhaupt möglich? Die Bochs blieben für ihr Alltagsgeschirr bei einfachen Formen. Eine Form wurde mit wechselnden Dekoren ausgestattet, um das Sortiment zu erweitern. Dekore wiederum wurden auf verschiedene Formen aufgetragen – eine erneute Multiplikation der Möglichkeiten. Dazu blieben sie meist einfarbig und stilisiert – sprich einfach auszuführen. Gleiches galt für die Formen. Das war seinerzeit durchaus ungewöhnlich. Noch ungewöhnlicher (aber kein Zufall) war, dass diese Reduzierung ästhetisch und technisch so hochwertig ausfiel.

Eine Platte mit Brindille und Hibiskus Dekor aus dem Werk in Septfontaines, datiert in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts / Foto: Tom Lucas for Musée national d’histoire d’art Luxembourg under CC0 / public domain

Natürlich übernahmen auch die Bochs erfolgreiche Motive anderer – das war damals Usus. Das Patentrecht war noch jung. Doch die Bochs kopierten nicht einfach nur. Sie setzten immer ihre eigene Handschrift um. Das beste Beispiel dafür ist eines ihrer berühmtesten Dekore.

Alt Luxemburg und Reichtum

Brindille. Das heißt Zweiglein und kommt ursprünglich aus einer Manufaktur im französischen Chantilly. Pierre-Joseph Boch machte es zu seinem eigenen. Die Zweige wurden dabei stilisiert, mit Blüten dekoriert und in einem einfachen Blau gehalten. Ganz nach den zuvor erwähnten Prinzipien. Das Dekor fiel schön aus – zeitlos. Zudem prägte es viele weitere Stücke der Region.

Noch heute befindet sich dieses Dekor übrigens in Produktion. Damals noch namenlos, ist es seit dem 20. Jahrhundert unter dem Namen »Alt Luxemburg« oder »Vieux Luxembourg« bekannt.

Nach wie vor bleibt es populär. Neben der klassischen Variante gibt es seit 2018 eine neu interpretierte Kollektion unter dem Namen »Vieux Luxembourg Brindille«. Das Zweiglein wurde dabei auf modernen Formen großflächig aufgetragen.

Auf Erfolgen ausruhen, kam aber nicht in Frage. Pierre-Joseph [wir erinnern uns – der Künstler der Familie] widmete sich nun auch einer zweiten Produktlinie. Es wurde Zeit die Zielgruppe auszuweiten. Die Fabrik deckte bisher den Alltagsbedarf erfolgreich ab. Gut Situierte, mit dem Willen und den Möglichkeiten in »Schönes« zu investieren, rückten nun auch in den Fokus.

Eine kunstvolle Waschgarnitur aus dem Werk in Septfontaines, datiert in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts / Foto: Foto: Noémie Montignie for Musée national d’histoire d’art Luxembourg under CC0 / public domain
Ein Potpourri-Behälter mit dem Abbild von König Joseph II, Empereur d’Autriche aus Bochs Werk in Septfontaines, datiert 1780 – 1795 / Foto: Tom Lucas for Musée national d’histoire d’art Luxembourg under CC0 / public domain

Von Tellern und Schüsseln ging es nun auch um Prunkvasen, aufwendige Tafel-Services mit aufwendigen Dekoren, um Tafel-Aufsätze und Ziergegenstände wie Kerzenhalter, Figuren et cetera. Auch all das taten die Bochs gut! Selbstverständlich profitierte die Familie finanziell nicht zu knapp. Es lief sogar so gut, dass sie ganze Dörfer kaufen und 1785 ein Schloss bauen und beziehen konnten.

Bochs Schloss in Septfontaines / Fotos: Cayambe via WikiCommons under CC BY-SA 3.0

Auch ihre Mitarbeiter profitierten vom Profit des Unternehmens. Allen anderen Firmen in Luxemburg voraus, zahlte die Familie Krankengeld und auch Löhne für Auszubildende. In dieser Zeit war das revolutionär. Ihrer Gemeinde stifteten sie ein Waisenhaus, später auch Schulen und Krankenhäuser.

Unruhen in Frankreich – Vorläufiges Aus

Leider kann niemand in einer Blase leben – selbst die Bochs konnten dies nicht. Die Französische Revolution ging an Septfontaines nicht spurlos vorüber. Zunächst brach der französische Markt weg, später hielten sich auch die Nachbarländer mit der Nachfrage zurück. Die Lager wurden voller; die Umsätze sanken. Dennoch lief die Produktion weiter. Schließlich fühlte sich Pierre-Joseph für die Region und seine Mitarbeiter verantwortlich.

Seine Brüder hatten sich zu diesem Zeitpunkt aus dem Geschäft zurückgezogen. Dominique war zudem unheilbar krank. Pierre-Joseph hielt nun allein die Stellung … bis die Franzosen die Fabrik belagerten. Die Familie floh, verlor anschließend sowohl Schloss, als auch die Manufaktur und sämtliche Ländereien. Auch die Fabrik-Arbeiter hatten kein Zuhause mehr. Sieben Monate Besatzung hatten irreparablen Schaden angerichtet.

Die Frage war nun: Aufgeben oder Neuanfang? Pierre-Joseph wählte den Neuanfang. Das hieß: ein zweites Mal in seinem Leben musste er ein Unternehmen von der Pike auf entwickeln. Neue Öfen und Maschinen wurden gebraucht. Mit geliehenem Geld und dem Goodwill seiner alten Arbeiter, die mit ihrer Arbeit in Vorleistung gingen, wurde die Fabrik neu aufgebaut.

Ein Dessertteller aus dem Werk in Septfontaines. Abgebildet ist der Einmarsch von Napoleon Bonaparte. Das Dekor entstand im Kupferdruck-Verfahren nach einem Kupferstich von Hippolyte Bellangé, datiert 1838 – 1844 / Foto: Tom Lucas for Musée national d’histoire d’art Luxembourg under CC0 / public domain

Schon 1802 konnte die neue Firma auf der Weltausstellung in Paris ihre Waren erfolgreich präsentieren. Doch der alte Erfolg baute sich nur mühsam wieder auf. Die Formen blieben zunächst schlicht, kaum dekoriert. Unbekannte Probleme mussten gelöst werden. Was blieb, war der Geschäftssinn und der Drang nach Fortschritt. So machten eigene Glasur-Rezepturen Boch beispielsweise unabhängig von den Zollbeschränkungen auf die eigentlich notwendigen Rohstoff-Importe.

Nicolas Villeroy betritt die Bühne

Ein kleiner Sprung zurück – nach Frankreich. Nicolas Villeroy, der später seinen Familiennamen im Unternehmen verfestigen sollte, war das jüngste von sieben Kindern. Geboren in Metz zog es ihn später an die Mosel, wo er in Traben-Trarbach auf dem Weingut von Richard Böcking eine Ausbildung zum Kaufmann abschloss.

Portrait von Nicolas Villeroy aus dem Archiv von Villeroy & Boch / Bild: Oktobersonne via Wiki Commons under CC BY-SA 4.0

Den gelernten Beruf übte er ab 1784 als Vertriebsleiter der Salinenverwaltung von Saint-Avold aus. [Das liegt auf der französischen Seite, in der Nähe des deutschen Saarbrücken und knapp 140 Kilometer von Luxemburg entfernt]. Hier kreuzten sich zum ersten Mal flüchtig die Wege von Villeroy und dem jungen Jean-François Boch. Ins Steingutgeschäft brachte ihn ein anderer Jean.

1785 machte sich Jean Thibault, Villeroys ehemaliger Kollege aus Saint-Avold, mit einer Steingutfabrik in Frauenberg (bei Saargemünd) selbständig. Vier Jahre später überzeugte er Nicolas Villeroy (und einen weiteren Geschäftspartner) als Teilhaber in sein Geschäft einzusteigen. Villeroy hatte zwischenzeitlich die Tochter seines ehemaligen Ausbilders – Thérèse-Sophie Böcking – geheiratet und war bereit für eine berufliche Veränderung.

Die Bochschen Keramiken erfreuten sich zu dieser Zeit größter Popularität, weit über Lothringen und Luxemburg hinaus.

Villeroy strebte ebenfalls nach Erfolg. Frauenberg bot aber kaum Möglichkeiten zur Weiterentwicklung. Also wurde die Manufaktur 1791 nach Vaudrevange (Wallerfangen) verlegt – achtzig Kilometer östlich von Septfontaines. Damals stand Vaudrevange noch unter französischer Verwaltung. [Heute befindet es sich in unmittelbarer Nähe zur deutsch-französischen Grenze, in der Nähe des saarländischen Saarlouis].

Als Villeroy nach Vaudrevange kam, war der Ort noch ein kleines Bauerndorf, steckte jedoch voller Potenzial. Für die Steingutfabrik schien der Ort ideal. Aufgrund des Verlaufs der Saar und des Kohlebergbaus im Saargebiet, war eine stabile Rohstoffversorgung möglich. Wie die Bochs zu Beginn ihrer Unternehmer-Zeit, konnte auch Villeroy zunächst nicht auf die Ortsansässigen als Mitarbeiter zurückgreifen. Ein erfahrener technischer Leiter aus Frauenberg sorgte für die notwendige Ausbildung von Fachpersonal.

Aufbau einer erfolgreichen Manufaktur à la Villeroy

1797 brachte Nicolas die Steingutfabrik in seinen alleinigen Besitz. Nun war er in der Lage das Geschäft ganz in seinem Sinne zu führen. Als Kaufmann war er geschäftstüchtig und interessiert an Fortschritt und Serienproduktion. Er ging unmittelbar in Konkurrenz zu den beliebten Keramiken der Bochs.

Auch aus technischer Sicht. Als eine der ersten Keramikmanufakturen wurden in Vaudrevange Kohleöfen eingesetzt. Das reduzierte den Holzbedarf und in Folge die Produktionskosten. Für weitere Synergien erwarb er 1798 eine Förderkonzession für die nahegelegene Kohlengrube Hostenbach/Saar. Zwei Jahre später schon brannte die Fabrik mit zwei Kohleöfen.

Die Steingutfabrik in Vaudrevange (Wallerfangen) von Villeroy / Foto: S. J. Miba via WikiComons under CC BY-SA 4.0, digital koloriert

Besonders aber hatte es Villeroy der serielle Dekordruck angetan. In vielen deutschen Keramik- und Porzellanfabriken wurde zu dieser Zeit nach wie vor per Hand dekoriert, was nicht nur die Produktion verlangsamte, sondern auch die Kosten hoch hielt.

Kupferdruck in Vaudravange

Ab 1815 wurde bei Villeroy das Kupferdruckverfahren eingesetzt. Das Fachwissen brachten Spezialisten aus Frankreich und England mit. Englische Kriegsgefangene aus Saarlouis fanden bei Villeroy Anstellung. Einige von ihnen kamen aus der bekanntesten Keramik- und Porzellangegend Englands, Stoke-on-Trent. Damit auch er selbst sein Wissen erweitern konnte, reiste Nicolas mehrfach auf die Insel und lernte dort die fortschrittlichen Produktionsverfahren kennen.

Überhaupt scheute Villeroy nicht in Bereichen, in denen er sich nicht als Spezialist sah, Fachpersonal einzustellen, welches das nötige Wissen mitbrachte. Sein technischer Leiter kam aus Frankreich. Später arbeiteten auch englische Brennmeister an wichtigen Positionen. Anders als die Bochs, kam Nicolas erst spät ins Keramikgeschäft, war aber klug genug, Fachwissen einzukaufen und an essenziellen Stellen einzusetzen. Auch in Sachen Kupferdruck.

Für den Kupferdruck wurde zunächst eine seitenverkehrte Zeichnung auf eine geschliffene und polierte Kupferplatte übertragen. Linie für Linie wurde anschließend die Zeichnung auf die Platte eingeschnitten. Auf diese Weise waren sehr detailreiche Abbildungen möglich (zum Beispiel von Landschaften oder Motiven aus der Botanik). Im letzten Schritt wurde die Platte eingefärbt und im Tiefdruckverfahren auf Papier übertragen.

Um das Bild auf Keramik auftragen zu können, wurde der Stich zunächst auf Seidenpapier gedruckt und auf die noch ungebrannte Keramik angebracht (samt Papier). Im Ofen verbrannte die Papiervorlage und hinterließ nur noch die Metallfarbe auf der Oberfläche des gebrannten Stücks.

Eine Tasse mit einem floralen Druckdekor aus der Fabrik in Vaudrevange / Foto: Phrontis via WikiCommons under CC BY-SA 3.0

Da die Kupferstiche bis zu 400 Mal wiederverwendbar waren, war es so möglich ein Dekor recht kostengünstig zu vervielfachen. Im Ergebnis konnten die Produkte billiger verkauft werden. Ein klarer Vorteil gegenüber Boch.

Französische Revolution in Vaudrevange

Wie in Septfontaines, ging die Französische Revolution auch an Villeroy nicht spurlos vorbei. Seine Manufaktur schaffte es erst im neunten Jahr unter seiner Führung Gewinn zu erwirtschaften. Es gab also kaum Rücklagen. Dazu investierte Villeroy beispielsweise in die ehemalige Abtei in Wadgassen. Dort perfektionierte er seine Rohstoffaufbereitung.

Die Abtei Wadgassen, dessen Mühle Villeroy für die Rohstoffaufbereitung diente. Heute beheimatet sie ein Zeitungsmuseum / Foto: Lokilech via WikiCommons under CC BY-SA 3.0

Wie sein Konkurrent Boch, kämpfte Villeroy ebenfalls mit sinkenden Nachfragen und damit nicht ausreichenden Umsätzen. Erst nach der endgültigen Niederlage Napoleons kam die Produktion wieder in Fahrt.

1816 übergab Nicolas die Führung der Steingutfabrik seinen vier Kindern. Den Anteil seiner Tochter Caroline verwaltete er allerdings formell weiter. Sie war aus gesundheitlichen Gründen selbst nicht dazu in der Lage und starb schließlich 1819. Daraufhin wurde Villeroy erneut Miteigentümer (wenn auch nur zu einem Viertel).

Mettlach – Jean-François

Währenddessen hatte es Pierre-Josephs Sohn Jean-François Boch [benannt nach seinem Onkel] geschafft einmal mehr das Familien-Unternehmen einen Schritt nach vorn zu bringen. Er wollte nicht nur in die Fußstapfen seines Vaters in Septfontaines treten. Jean-François wollte etwas Eigenes. Etwas, was er ganz entsprechend seinen Vorstellungen aufbauen konnte.

Nach seiner Ausbildung in Chemie und Physik an der »Pariser Éco­le des Sci­en­ces« gründete er die Firma »Boch-Buschmann«. Buschmann war der Name seiner Frau, den er aus Dankbarkeit für ihre (besonders finanzielle) Unterstützung in die Firmierung aufnahm.

Portrait von Jean-François Boch aus dem Archiv von Villeroy & Boch / Bild: Oktobersonne via Wiki Commons under CC BY-SA 4.0

1809 kaufte er die ehemalige Benediktiner-Abtei in Mettlach an der Saar. Nachdem die Mönche während der Revolution dort von den Franzosen vertrieben wurden, verkaufte die Regierung das Gelände in einer Nationalgüterversteigerung an den Buchdrucker Jaques Leistenschneider. Der war aber nicht wirklich an einer eigenen Verwertung interessiert. Er nutzte nur einen kleinen Teil der weitläufigen Anlage. Den Rest überließ er mehr oder weniger dem Ort.

Die Ansässigen schlachteten die Abtei regelrecht aus. Teile des Daches wurden abgetragen, Steine entfernt, sowie Fenster und Türen als Feuerholz entwertet. Jean-François kaufte die Abtei dennoch. Er war von den Vorteilen des Flusses und des nahe gelegenen Kohlegebietes überzeugt und sollte Recht behalten.

Die alte Abtei in Mettlach, die bis heute die Hauptzentrale des Konzerns ist – unten sieht man das Gästehaus auf dem Gelände / Fotos:
Lokilech via WikiCommons under CC BY-SA 3.0

Poltergeister in Mettlach

Die Mettlacher waren im Übrigen überhaupt nicht begeistert von der Idee einer Steingutmanufaktur in ihrem Ort. [Wir befinden uns hier immerhin noch im Jahr 1809 – wobei … wenn ich es mir genau überlege, ist das auch heute nicht anders]. Einer neuen Firma dieser Größenordnung im Dorf, standen die 160 Menschen jedenfalls mit Argwohn gegenüber.

Vor allem konnten sie es nicht verschmerzen, die Abtei nicht weiter ausschlachten zu können. Hatte der Buchdrucker ihnen dabei freien Lauf gelassen, vermuteten sie sehr zurecht, dass es mit dem Einzug der neuen Eigentümer damit vorbei sein würde.

Nachdem ihre kalte Schulter Boch nicht abschreckte, versuchten sie es mit Poltergeistern. [Richtig gelesen, Poltergeistern!] Die Dorfbewohner schleppten schwere Ketten in die Abtei und zogen sie nachts lärmend über die Böden.

Vielleicht sahen die Geister ja so ähnlich aus … / Foto: Bob Doran via flickr under CC BY 2.0

Jean-François – den Naturwissenschaftler! – beeindruckte das natürlich nicht die Bohne. Einige Zeit musste vergehen, bis die Anwohner sich in ihr Schicksal fügten (und später auch die Vorteile der Produktion anerkennen konnten). Spätestens nach Aufnahme der Produktion und der Möglichkeit in dem Werk Arbeit zu finden, machten sie ihren Frieden mit den neuen Schornsteinen.

Mit moderner Technik den anderen Voraus

Nachdem die Geister nicht mehr störten, baute Jean-François auf dem eindrucksvollen Gelände, das bis heute die Stadt Mettlach prägt, eine moderne, überwiegend mechanisierte Geschirrfabrikation von Null auf. Boch – der mit der Erfahrung seiner Familie in diesem Metier und seiner Ausbildung gesegnet war – konstruierte viele der Fertigungsmaschinen selbst. Er spielte damit eine wesentliche Rolle in der Industrialisierung der gesamten Keramikproduktion.

Von ihm stammte ein völlig neues Kohle-Ofensystem. Mit einem Pyrometer konnte zum Beispiel die Brenntemperatur exakt kontrolliert werden. Das verhinderte unnötigen Ausschuss – oder im schlimmsten Fall einen Ruin, wenn der gesamte Brand aufgrund von falscher Intuition die Keramik zerstörte.

Er schaffte es ein System zu entwickeln, das sowohl den ersten Brand, als auch den Glasur-Brand mit Kohle befeuerte. Bemerkenswert war dabei die Technik für den Glasur-Brand. An dem waren die anderen Fabrikanten nämlich gescheitert – auch Nicolas Villeroy.

Bochs System leitete die Gase, die bei einer Glasur entstehen, aus dem Ofen ab. Diese wurden dann aber nicht nach draußen geleitet, sondern mit Luft angereichert und wieder zurück in den Ofen geführt. Dort brannten die Gase vollständig aus. Der Brennstoff wurde auf diese Weise optimal ausgenutzt.

Das schonte Ressourcen und reduzierte Ausschuss. Für die Töpferdrehscheiben setzte Boch Wasserkraft ein. Bisher war es üblich gewesen diese entweder mit den Füßen oder durch eine zweite Person in Gang zu halten.

Auch ganz simple Maschinen sorgten bei Außenstehenden für große Augen. So baute Jean-François eine Maschine, in welcher ein Draht die Keramikmasse automatisiert portionierte.

Soziales Engagement

Bei Massenfertigung und Industrialisierung mag man ja häufig auch an Ausbeutung der Arbeiter denken. Nicht so bei den Bochs. Während der Sohn den technischen Fortschritt vorantrieb, entwickelte sein Vater Pierre-Joseph Boch etwas für die Arbeiter der Fabriken.

1812 hob er die sogenannte »Antonius-Brüderschaft« aus der Taufe und zementierte mit ihr seinen Ruf als Sozial-Pionier. Die Bruderschaft sorgte dafür, dass allen Mitarbeitern Sozialleistungen wie Krankengeld, Unfall- und Invaliditätsversicherungen gezahlt wurden. Auch eine Pensionskasse wurde eingerichtet, in welche sowohl Arbeitgeber, als auch Arbeitnehmer eingezahlt hatten. Es war ein Vorläufer für unsere heutige umfassende Sozialversicherung.

Sein Entwurf überstieg sogar noch die (siebzig Jahre später eingeführten) gesetzlichen Regelungen von Bismarck. So gab es beispielsweise auch eine Sterbekasse, die das Begräbnis, den Grabstein und Witwen- und Waisenzahlungen abdeckte. Oder eine Lohnfortzahlung für Wehrpflichtige, die zu Reserveübungen ausrücken mussten. Bei schlechten Ernten, sicherte die Kasse ihre Mitglieder mit günstigem Getreide ab. Und ein Sparbuch oder ein Darlehen konnte bei Bedarf auch noch verwaltet werden.  

Die Bochs und deren Mitarbeiter verband seinerzeit ein gemeinsames Engagement, das aus gegenseitigem Geben und Nehmen bestand.

Nebenschauplätze

Neben Steingut interessierte sich Jean-François übrigens auch noch für Wein. In einem Nebengeschäft handelte er mit Wein. Und wer war einer seiner Kunden? Richtig geraten, Nicolas Villeroy. Auch Villeroy verdiente sich nebenbei noch etwas dazu – wie bereits erwähnt lief die Steingutfabrik zu Beginn nicht kostendeckend.

Dieses Mal überschnitten sich die Tätigkeitsfelder der beiden jedoch nicht. Villeroy handelte nicht mit Wein, sondern mit Rübenzucker. Jedenfalls gab es hier einmal mehr eine Schnittmenge, die beide Unternehmer näher zueinander brachte.

So nah, dass Jean-François seit 1818 einige seiner Rohstoffe von der Konkurrenz bei Villeroy bezog. Offenbar schien hier ein besonderes gegenseitiges Vertrauen zu existieren.

Die nächste Generation übernimmt

1818 verstarb Piere-Joseph. Sein luxemburgisches Werk in Septfontaines ging jeweils zur Hälfte an seinen Sohn Jean-François und dessen Schwager [als Vertretung für die Tochter] über. Jean-François kümmerte sich seit dem Tod des Vaters intensiv um dessen Werk. Auch, weil er mit seiner eigenen Manufaktur in Mettlach für innerhäusige Konkurrenz gesorgt hatte, die das ältere Werk in Septfontaines tatsächlich in Bedrängnis brachte.

Ein aufwendig dekorierter Teller wie er typisch für Septfontaines war, datiert 1770 – 1780 / Foto: Tom Lucas for Musée national d’histoire d’art Luxembourg under CC0 / public domain

Unterdessen fanden die Boch-Produkte nicht nur auf dem Absatzmarkt Anerkennung. Auf der ersten preußischen Gewerbeausstellung in Berlin erhielten die Bochs 1822 die Goldmedaille für Exzellenz. Der Ehre aus dem Fachbereich sollten noch viele weitere Auszeichnungen folgen.

1829 wurde in Boch (ein Arbeiterort, benannt nach dem Gründer François Boch) ein weißes, sehr hartes Steingut entwickelt, was den Markt überregional verstärkte. In diesem Jahr entschied sich Jean-François ganz nach Septfontaines überzusiedeln. Das erfolgreiche Werk in Mettlach übergab er seinem zwanzigjährigen Sohn Eugen, der eine ganz eigene Rolle in den Geschichtsbüchern des Unternehmens schreiben sollte.

Die Konkurrenz im Griff – Die Fusion

Bevor die nächste Boch-Generation das Ruder übernahm, ebnete Jean-François noch den Weg in Richtung »Villeroy & Boch«. Er war während seiner Geschäftsführung nicht an Konkurrenzkriegen interessiert. Stattdessen bemühte er sich um Beteiligungen und Kooperationen.

Die interessanteste Konkurrenz lag inzwischen nur noch 20 Kilometer entfernt in Vaudrevange. Boch waren die Innovationen in Sachen Dekor von Villeroy nicht entgangen. Noch vor der sich anbahnenden Fusion, kooperierten die beiden Unternehmen bereits. Schließlich überschnitt sich der Markt der beiden Firmen.

Im Übrigen war der Respekt vor dem Schaffen des jeweils anderen bereits in Details erkennbar. So hatte Nicolas Villeroy (Jahre vor dem Zusammenschluss) den Gedanken von Pierre-Josephs Sozialversicherung aufgegriffen. Für seine Version einer Arbeiter-Sozialkasse, entlehnte er sogar Bochs Bezeichnung »Antonius-Bruderschaft«.

Zollbeschränkungen und immer stärker werdende Konkurrenz aus dem europäischen Umland machten das Geschäft immer schwieriger. Statt sich auch noch in nachbarschaftlichen Konkurrenzkrieg zu begeben, beschlossen Boch und Villeroy zusammenzuarbeiten. Denn wenn der jeweils andere seine Produktionsvorteile einbrachte, stärkte es das gesamte Unternehmen.

Foto: Andrew Petrov gefunden auf Unsplash

Der Schulterschluss wurde in der Fremersdorfer Saarmühle geschlossen. Am 14. April 1836 fusionierten sie ihre drei Werke (Septfontaines zu 50 Prozent, Mettlach und Vaudrevange zu je 100 Prozent) unter der Dachfirma »Villeroy & Boch«. So! Wie kam es nun, dass Villeroy zuerst genannt wurde? Nun, heruntergebrochen auf den Marktwert, war Villeroys Werk wertvoller. Zur Zeit der Fusion arbeitete Vaudrevange erfolgreicher als Septfontaines und Mettlach zusammen. (Auch weil Septfontaines nur zur Hälfte eingebracht wurde. Die andere Hälfte blieb bei Bochs Schwager.]

Daher lag es nahe, dass Villeroy den größeren Firmenanteil erhielt. Von den 120 Aktien gingen 72 an Villeroy und 48 an Boch. Villeroy hielt demnach die Mehrheit, und das Privileg der Erstnennung. 

Familienbande

Mal abgesehen davon gab es auch noch einige private Vereinigungen der Familien. [Und jetzt wird es kompliziert]. Neben Boch und Villeroy gab es noch eine dritte Partei, die bei der Unterzeichnung des Fusionsvertrags eine Rolle spielte: Louis Henry Fulbert de Galhau. Ihn hatte man dazu genommen, weil er Villeroys älteste Tochter Sophie geheiratet hatte.

Damals war es noch üblich eine Mitgift zu erhalten und De Galhau konnte zwischen einer festen Jahressumme oder Anteilen an der Fabrik wählen. Er hatte sich vorausschauend für die Geschäftsanteile (von 25 Prozent) entschieden.

Eheleute Nicolas Adolphe und Sophie Léonie Elisabeth de Galhau, um 1870 (Heimatmuseum Wallerfangen) / Foto: Oktobersonne via Wiki Commons under CC BY-SA 4.0

Dazu brachte De Galhau auch noch einen Sprössling in das Familiengefüge. Louis Henrys Sohn Adolphe heiratete später seine Cousine Léonie – die ältere Tochter von Nicolas Sohn Charles Villeroy, der ja bereits die Fabrik in Vaudrevange leitete.

Léonies Schwester Octavie Villeroy wiederum heiratete Eugen Boch. Gerade diese Verbindung sollte die zwei Unternehmen unter »Villeroy & Boch« zusammenschweißen.

Portrait von Eugen (von) Boch, digital koloriert, public domain
Octavie Villeroy, digital koloriert, public domain

Damit wurden die beteiligten Familien von nun an untrennbar miteinander verbunden und die Grundlage für die keramische Marktdominanz war gelegt.

Im nächsten Teil geht die Geschichte weiter. Vielmehr beginnt sie für »Villeroy & Boch« erst! Bis dahin!

Quellen:

Bildnachweise (falls nicht in Bildunterschrift vermerkt):
Beitragsbild: Zuckerdose aus der Fayencerie Boch in Septfontaines, datiert 1767 – 1786, Foto von Tom Lucas für Musée national d’histoire d’art Luxembourg, public domain, erweitert um Bodenstempel

Dekoration: Brindille und Abschluss-Blumenbouquet – Dekore von Villeroy & Boch, digital und analog gezeichnet von Kannenweise

Literatur:
Villeroy & Boch – Ein Vierteljahrtausend europäische Industriegeschichte 1748 – 1998, Text Rainer Dresens, Selbstverlag Villeroy & Boch Aktiengesellschaft , Mettlach, 1998, Seiten 9 – 57

Web:
Homepage Villeroy & Boch, Seite Unternehmensgeschichte, Stand 08.05.2021
Burg, Peter, Familie Boch, in: Internetportal Rheinische Geschichte, Stand 14.04.2021
Manager-Magazin, Artikel Familien Villeroy & Boch – Späte Genugtuung von Martin Scheele, Stand 30.04.2021
Forum Alt-Postgeschichte, Stand 08.05.2021
Homepage Musée national d’histoire d’art Luxembourg, Stand 10.05.2021
Schweizer Materialarchiv, Artikel Steingutmasse, Stand 10.05.2021
Wikipedia, Artikel Villeroy & Boch, Stand 10.05.2021
Wikipedia, Artikel Francois Boch, Stand 10.05.2021
Wikipedia, Artikel Nicolas Villeroy, Stand 10.05.2021

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert